Dutertes Phantasma

Wahn und Wirk­lich­keit 1 — Ver­an­stal­tungs­be­richt (Teil 2)

Der phil­li­pi­ni­sche Prä­si­dent Rod­ri­go Duter­te ist sicher soet­was wie ein Vor­rei­ter wahn­haf­ter Poli­tik­in­sze­nie­run­gen zur Eta­blie­rung eines auto­kra­ti­schen Sys­tems. Sein Kon­zept, das das Wir­ken von Dro­gen­händ­lern und -nut­ze­rin­nen für fast alle Pro­ble­me der phil­li­pi­ni­schen Gesell­schaft ver­ant­wort­li­ch macht, führ­te Mit­te 2016 zu sei­nem Sieg bei den Prä­si­dent­schafts­wah­len. Der in Mani­la leben­de Sozio­lo­ge Nik­las Ree­se war im Janu­ar zu Gast bei der ers­ten Dis­kus­si­on unse­rer Rei­he „Poli­tik in der Rechts­kur­ve“.

Kurz nach unse­rer Dis­kus­si­on mit Nik­las Ree­se im Wup­per­ta­ler „ADA“ ver­kün­de­te Duter­te, er beab­sich­ti­ge nun­mehr, sei­nen ursprüng­li­ch bis März 2017 aus­ge­ru­fe­nen „Krieg gegen Dro­gen“ bis zum Ende sei­ner Amts­zeit im Jahr 2022 zu ver­län­gern. Die bis­he­ri­ge Quo­te extra­le­gal Hin­ge­rich­te­ter hoch­ge­rech­net, ist die­se Ankün­di­gung für min­des­tens 60.000 Men­schen gleich­be­deu­tend mit einem Todes­ur­teil. In den sie­ben Mona­ten seit sei­ner Wahl kam es in den Phil­li­pi­nen zu 7.500 Mor­den an angeb­li­chen „Dro­gen­händ­lern“, aber auch ver­meint­li­chen „Dro­gen­süch­ti­gen“. Ob es sich bei den ermor­de­ten um Men­schen han­delt, die mit Dro­gen etwas zu tun haben, ist oft völ­lig unklar, sagt Nik­las Ree­se. An den Lei­chen, die jeden Mor­gen in den Stra­ßen Mani­las lie­gen, wird häu­fig ledig­li­ch ein Zet­tel mit einer ent­spre­chen­den Behaup­tung hin­ter­las­sen.

Laut Nik­las Ree­se wer­den die „extra­le­ga­len Hin­rich­tun­gen” sehr häu­fig von Poli­zis­ten began­gen, die sich mit den Exe­ku­tio­nen eine Prä­mie ver­die­nen. Nach­dem es einen Skan­dal um einen „irr­tüm­li­ch“ ermor­de­ten süd­ko­rea­ni­schen Geschäfts­mann gab, hat Duter­te jedoch inzwi­schen „Umstruk­tu­rie­run­gen“ im Hin­rich­tungs­busi­ness ange­kün­digt. Zukünf­tig könn­ten Tei­le der Armee den Job der durch und durch kor­rup­ten Poli­zei­ein­hei­ten erle­di­gen. Doch im Geschäft mit extra­le­ga­len Tötun­gen sind ohne­hin auch noch ande­re Grup­pen tätig: Riva­li­sie­ren­de Gangs ent­le­di­gen sich unter dem Deck­man­tel des „Kriegs gegen Dro­gen” ihrer Wett­be­wer­ber, und auch „ein­fa­che Leu­te den­ken jetzt, dass Töten die schnells­te und effi­zi­en­tes­te Art ist, mit Pro­ble­men fer­tig zu wer­den,“ zitier­te Nik­las Ree­se Ana Marie Pamin­tu­an, Kolum­nis­tin des „Phil­ip­pi­ne Star“. Ein Straf­rechts­sys­tem, das selbst bei Mor­den ohne Klä­ger oder Klä­ge­rin kei­ne wei­te­ren Ermitt­lun­gen vor­sieht, macht die Will­kür- und Selbst­jus­tiz rela­tiv risi­ko­los. Schließ­li­ch kön­nen poten­ti­el­le Klä­ger sel­ber zum nächs­ten Opfer wer­den, wenn die Gefahr besteht, dass sie eine Tat zur Anzei­ge brin­gen.

Duter­tes „Krieg gegen die Dro­gen“ ist plan­mä­ßig orga­ni­siert. „Jedes Stadt­vier­tel ist ange­hal­ten, eine Lis­te mit den mut­maß­li­chen Dro­gen­ab­hän­gi­gen und Dea­lern der Gegend anzu­fer­ti­gen. Wenn sich nicht genü­gend Ver­däch­ti­ge fin­den las­sen (um die vor­ge­ge­be­ne Quo­te zu erfül­len), sehen sich die Orts­vor­ste­her gezwun­gen, die Lis­te mit ande­ren auf­zu­fül­len“, beschreibt Nik­las Ree­se die hier­ar­chi­sche Struk­tur der Arbeit der Todes­schwa­dro­ne. Die Armen­vier­tel wer­den durch­kämmt, Bewoh­ne­rIn­nen bei „Besu­chen“ von der Poli­zei ein­ge­schüch­tert und gewarnt, sie könn­ten „die nächs­ten“ sein. Über sechs Mil­lio­nen Häu­ser hat die Poli­zei bereits auf­ge­sucht. Ihre „Erfol­ge“ wer­den öffent­li­ch aus­ge­stellt. Duter­te und die Poli­zei­füh­rung sind stolz auf die Mor­de: An Mani­las Poli­ce-Head­quar­ter wird die Zahl getö­te­ter „Dro­gen­händ­ler“ an der Fas­sa­de ver­kün­det und regel­mä­ßig aktua­li­siert. Wer Glück hat und nicht getö­tet wur­de, wird ver­haf­tet. Etwa 50.000 Men­schen sind so in Gefäng­nis­se ver­schleppt wor­den, die hoff­nungs­los über­füll­ten Ker­kern ähneln.

Im Kli­ma der Angst haben es vie­le vor­ge­zo­gen, sich selbst zu bezich­ti­gen. Ein Pro­zent der Gesamt­be­völ­ke­rung, eine Mil­lion Fili­pi­nos also, hat sich so inzwi­schen der Poli­zei „erge­ben“, wie es in der vor­herr­schen­den Kriegs­rhe­to­rik heißt. Der „Krieg“, in den Rod­ri­go Duter­te die Bevöl­ke­rung geführt hat, rich­tet sich vor­geb­li­ch gegen einen von der Dro­gen­ma­fia kon­trol­lier­ten Staat und gegen die, „die das erkannt haben und jenen, die nicht wol­len, dass die Mehr­heit klar­sieht“, wie Ree­se das Feind­bild der Regie­rung beschreibt. Ihre Fein­de sind alte „Eli­tis­ten“, west­li­che Regie­run­gen und aus­län­di­sch kon­trol­lier­te NGOs, die durch ihr Ver­hal­ten den von Duter­te mit sei­nem Wahl­slo­gan pro­pa­gier­ten „wirk­li­chen Neu­an­fang“ ver­hin­der­ten. Men­schen­rechts­ak­ti­vis­tin­nen und Rechts­an­wäl­te, die bereit sind, sich der Bedroh­ten anzu­neh­men wird mit ihrer Ermor­dung gedroht – indem sie sich um die Ver­däch­ti­gen küm­mer­ten, ver­zö­ger­ten sie die Lösung des Dro­gen­pro­blems. im Zwei­fel wird auch ihnen vor­ge­wor­fen, aktiv in den Han­del mit Dro­gen ver­strickt zu sein.

Duter­te ist es gelun­gen, im Lau­fe sei­ner dis­ney­land­haf­ten Kam­pa­gne das Dro­gen­pro­blem zur Wur­zel allen Übels zu machen. Das durch sei­ne Wahl eta­blier­te Phan­tas­ma gip­felt dar­in, die Lösung des Dro­gen­pro­blems füh­re auto­ma­ti­sch zur Lösung aller Pro­ble­me der Phil­li­pi­nen. Sozia­le Ungleich­heit und olig­ar­chi­sche Struk­tu­ren lös­ten sich in Luft auf, wenn erst alle Dro­gen­nut­zer umge­bracht sei­en. Ihre Zahl bezif­fert Duter­te ins­ge­samt auf vier Mil­lio­nen. Die Eta­blie­rung die­ser Erzäh­lung gelang durch die stän­di­ge Wie­der­ho­lung fal­scher Tasta­chen durch ihm erge­be­nen Medi­en im Wahl­kampf, was eine regel­rech­te Panik erzeug­te. So steht der Zahl von 4 Mil­lio­nen Dro­gen­ab­hän­gi­gen die Erhe­bung der Dro­gen­be­hör­de gegen­über, die selbst nur von 1,8 Mio. Betrof­fe­nen spricht. Auch eine unter sei­nem Amts­vor­gän­ger Aqui­no ver­drei­fach­te Kri­mi­na­li­tätzif­fer und dass Dro­gen­ab­hän­gi­ge für 75% der schwe­ren Ver­bre­chen ver­ant­wort­li­ch sein sol­len, hält einer Über­prü­fung nicht stand.

Die per­ma­nen­te Wie­der­ho­lung die­ser „alter­na­ti­ven Fak­ten“ und die dar­aus abge­lei­te­te Mög­lich­keit, für alle Übel der phil­li­pi­ni­schen Gesell­schaft Schul­di­ge in Form der Dro­gen­händ­ler und -nut­zer prä­sen­tie­ren zu kön­nen, funk­tio­nier­te erstaun­li­ch gut. Noch 2015 mach­ten sich laut Umfra­gen des Insti­tuts „Pul­se Asia“ nur 30% der Fil­li­pi­nos Sor­gen dar­über, Opfer eines Ver­bre­chens zu wer­den und die Kri­mi­na­li­täts­be­kämp­fung gehör­te für nur 20% zu den drei wich­tigs­ten Auf­ga­ben phil­li­pi­ni­scher Poli­tik. Vor der Wahl, Mit­te 2016 war es dann schon die Hälf­te aller Wahl­be­rech­tig­ten. Armut und „Cha­rak­ter­lo­sig­keit“ gal­ten nicht län­ger als wesent­li­che Ursa­chen für Kri­mi­na­li­tät, wie Ree­se aus­führ­te. Die Erzäh­lung von der Schuld der mar­gi­na­li­sier­ten Süch­ti­gen war erfolg­reich. Weder von Duter­te geäu­ßer­te bru­ta­le Ver­ge­wal­ti­gungphan­ta­si­en noch sei­ne Behaup­tung, als ehe­ma­li­ger Bür­ger­meis­ter der Stadt Davao sel­ber „min­des­tens“ drei Mor­de began­gen zu haben, führ­te zur Ableh­nung sei­ner Rea­li­täts­be­schrei­bung. Und die Wir­kung der kol­lek­ti­ven „Gehirn­wä­sche“ hält bis heu­te an.

Laut aktu­el­ler Umfra­gen ver­trau­en wei­ter­hin 85% der Fili­pi­nos dem Prä­si­den­ten, obwohl gleich­zei­tig fast 80% fürch­ten, sel­ber zum „Kol­la­te­ral­scha­den“ im „Krieg gegen Dro­gen“ zu wer­den. So bezeich­net Duter­te die­je­ni­gen, die „aus Ver­se­hen“ umge­bracht wer­den. Sein Rück­halt ist dabei klas­sen­über­grei­fend, Ange­hö­ri­ge der Mit­tel- und Ober­schicht unter­stüt­zen Duter­te gar stär­ker als die­je­ni­gen, die nur eine Grund­schul­aus­bil­dung haben. „Er hat nicht unter den Unge­bil­de­ten und an den Rand Gedräng­ten am bes­ten abge­schnit­ten“ sagt Ree­se. Sein lan­des­wei­ter Anteil an Stim­men von 36% wur­de bei Ange­hö­ri­gen der Mit­tel­klas­se um fast ein Drit­tel über­trof­fen und bei Wäh­lern und Wäh­le­rin­nen mit Col­le­ge­ab­schluss erreich­te Duter­te fast 50%. Unter gebil­de­ten Städ­tern schnitt Duter­te bes­ser ab als in länd­li­chen Regio­nen. Noch fins­te­rer waren die Ergeb­nis­se bei den in der Dia­spora leben­den Fili­pi­nos, die mit 75% für Duter­te stimm­ten. „Es ist nicht das alte Land­ei oder das abge­häng­te Pro­le­ta­ri­at gewe­sen“, wie Ree­se aus­führ­te, „Duter­te ist Kan­di­dat der Neu­rei­chen und der halb­wegs Erfolg­rei­chen“. Sein Kon­fron­ta­ti­ons­kurs mit den „alten Eli­ten“ veschaff­te ihm zudem zeit­wei­se auch die Unter­stüt­zung der alten lin­ken Oppo­si­ti­on. Seit­dem Ex-Dik­ta­tor Fer­di­nand Mar­cos, der von 1972 bis 1986 einen blu­ti­gen Krieg gegen die Lin­ke führ­te, auf dem Hel­den­fried­hof begra­ben wer­den durf­te, beginnt die­se jedoch zu brö­ckeln.

Im Par­la­ment bil­det sich die exor­bi­tan­te Zustim­mung durch 280 von 297 Abge­ord­ne­ten des „Unter­hau­ses“ ab. Es ist Duter­tes so genann­te „super majo­ri­ty“. In sei­ner Hei­mat­re­gi­on Mind­a­nao, in der der sich gern als „Anti-Esta­blish­ment“ insze­nie­ren­de Duter­te vor allem in der größ­ten Stadt Davao-City über weit­rei­chen­de Netz­wer­ke ver­fügt, erhielt er bis zu 90% der Wäh­le­rIn­nen­stim­men. Dort war sein Mythos ent­stan­den, als Bür­ger­meis­ter Dava­os die Mil­lio­nen­stadt zu einer Art Mus­ter­stadt und mit­hil­fe der jetzt lan­des­weit ange­wen­de­ten Metho­den „dro­gen­frei“ gemacht zu haben. Ree­se, der vor sei­nem Umzug nach Mani­la selbst in Davao gelebt hat, sagt, dass auch hier die „alter­na­ti­ve Fak­ten“ wirk­sam gewor­den sei­en. Davao-City sei noch immer die Stadt mit einer der höchs­ten Ver­bre­chens­ra­ten der Phil­li­pi­nen, was den Ver­dacht nährt, dass es sich bei dem gan­zen „Krieg gegen Dro­gen“ ähn­li­ch wie in Mexi­ko vor allem auch um Metho­den der Umver­tei­lung von Macht zwi­schen ver­schie­de­nen Clans bzw. Kar­tel­len han­deln könn­te.

Doch auch in die­sem Fall hat sich die „alter­na­ti­ve Rea­li­tät“ weit­flä­chig eta­bliert. Bei Dis­kus­sio­nen und in Kom­men­tar­spal­ten wird selbst in Euro­pa immer wie­der auf eine erfolg­rei­che Zeit Duter­tes als Bür­ger­meis­ter in Davao hin­ge­wie­sen, wenn Kri­tik an der bru­ta­len Umset­zung sei­ner Zie­le laut wird. Die „alter­na­ti­ve Rea­li­täts­be­schrei­bung“ als erfolg­rei­cher Macher in Davao, der auch nicht davor zurück­schreckt, sich „die Hän­de schmut­zig zu machen“, ist wesent­li­cher Bestand­teil der Kam­pa­gne von Rod­ri­go Duter­te. Auch nach der Wahl möch­te er nicht „Prä­si­dent“ son­dern wei­ter­hin lie­ber „Mayor“ genannt wer­den. Vor­aus­set­zung sei­nes Erfolgs ist die Sicht auf das Gemein­we­sen als über­schau­ba­re Grö­ße, in der per­sön­li­che Erfah­run­gen Maß­stab für Ent­schei­dun­gen sein kön­nen. Der auf eine hand­hab­ba­re Grö­ße geschrumpf­te Bezugs­rah­men dient in der Rea­li­täts­be­schrei­bung á la Duter­te als Gegen­ent­wurf zur einer anony­men, sich stän­dig ver­än­dern­den Gesell­schaft der Moder­ne, wie Nik­las Ree­se bei der Ver­an­stal­tung im ADA aus­führ­te. Erst die Kon­struk­ti­on der Phil­li­pi­nen als Ort, an dem „man sich kennt und von mora­li­schen Erwä­gun­gen lei­ten lässt“, mache es Duter­te mög­li­ch, sei­ne alter­na­ti­ve Beschrei­bung der Wirk­lich­keit durch­zu­set­zen und sich als „Stim­me des Vol­kes“ zu geben.

Plau­si­bi­li­tät und All­tags­ver­stand gel­ten dabei als stö­ren­de Fak­ten, die im Zwei­fel nur des­halb ange­führt wer­den, um das Volk – bzw. sein „Emp­fin­den“ – zu unter­drü­cken. Auf Fak­ten auf­bau­en­de Zwi­schen­in­stan­zen oder juris­ti­sche Beschrän­kun­gen der not­wen­di­gen Maß­nah­men ver­fäl­schen des­halb den „wah­ren Volks­wil­len“. Von da bis zum Füh­rer­prin­zip ist es nur noch eine kur­ze Stre­cke. Rod­ri­go Duter­tes wie­der­hol­te Ankün­di­gun­gen zur Aus­ru­fung des Kriegs­rechts oder sein Plan, Haft­prü­fun­gen abzu­schaf­fen, sind bereits Mar­ken auf die­sem Weg. Gelingt es nicht, das von Duter­te geschaf­fe­ne Phan­tas­ma zu durch­bre­chen, steht den Phil­li­pi­nen eine dunkle Zukunft bevor, die auf Sicht eine Form von Bür­ger­krieg unaus­weich­li­ch erschei­nen lässt. Doch schon zuvor wird Duter­tes alter­na­ti­ve Erzäh­lung der Wirk­lich­keit noch vie­le Opfer for­dern.