Autoritäre Entwicklungen II

Ver­an­stal­tung­be­richt Teil 2 – Der Para­gra­ph 114 (Teil 1)

Wann wird es für den Staat oppor­tun, sei­ne repres­si­ven Werk­zeu­ge anzu­wen­den, und war­um bestimmt Sicher­heits­po­li­tik eigent­li­ch die poli­ti­sche Tages­ord­nung? Und wie müss­te unse­re Reak­ti­on ange­sichts des­sen aus­fal­len? Am Bei­spiel des neu­en § 114, der so genann­te „tät­li­che Angrif­fe gegen Voll­stre­ckungs­be­am­te und ihnen gleich­ge­stell­te Per­so­nen” in Zukunft mit min­des­tens drei Mona­ten Knast sank­tio­nie­ren soll, las­sen sich eini­ge grund­sätz­li­che Über­le­gun­gen anstel­len; und eine Betrach­tung erfol­gen­der Reak­tio­nen von lin­ker Sei­te auf das Geset­zes­vor­ha­ben ver­weist auf eini­ge eige­ne Irr­tü­mer und einer damit ein­her­ge­hen­den Unfä­hig­keit ange­mes­sen zu reagie­ren. Die­se Reak­tio­nen redu­zie­ren die Aus­wir­kun­gen des neu­en Geset­zes meist auf ein Demons­tra­ti­ons­ge­sche­hen. Wer jedoch das staat­li­che Motiv für die­ses mit dem alten Wider­stands­pa­ra­gra­phen 113 sym­bio­ti­sch ver­knüpf­te neue Gesetz ver­ste­hen will (das auch in der Rechts­wis­sen­schaft höchst umstrit­ten ist), muss sich mit der Insti­tu­ti­on der Poli­zei und der ihr in der Gesell­schaft zuge­dach­ten Auf­ga­be beschäf­ti­gen (das Argu­ment des Schut­zes von Feu­er­wehr und Ret­tungs­diens­ten kann getrost bei­sei­te gelas­sen wer­den; gemeint ist die Poli­zei.)

Wenig erstaun­li­ch ist, dass es die weit­ver­brei­te­te Mei­nung gibt, Rol­le und Auf­ga­be der Poli­zei sei­en eigent­li­ch klar. Denn Lob­by­ver­tre­ter der Poli­zei und Medi­en arbei­ten kräf­tig an einem ein­fa­chen Bild: Auf­ga­be der Poli­zei ist es, Ver­bre­chen auf­zu­klä­ren, zu ver­fol­gen und mög­lichst zu ver­hin­dern. Die Poli­zei sei daher eine Insti­tu­ti­on für die „Sicher­heit” ein­zel­ner in der Gesell­schaft. Dem­entspre­chend lau­fen auch die öffent­li­chen Debat­ten um zu wenig Per­so­nal, zu alte Aus­rüs­tung und zu wenig Befug­nis­se ab. Refe­renz sind Ein­zel­fäl­le, beson­ders empö­rens­wer­te Fäl­le von kri­mi­nel­len Hand­lun­gen und indi­vi­du­el­le Bedro­hungs­sze­na­ri­en. Sug­ge­riert wird damit, „Poli­zei“ käme jedem zugu­te. Das ist jedoch nicht der Fall. Die Ent­ste­hungs­ge­schich­te der Insti­tu­ti­on „Poli­zei” zeigt, dass es, als es – bei­spiels­wei­se in Eng­land oder in eini­gen Städ­ten der USA – im 19. Jahr­hun­dert zur Grün­dung einer zwi­schen Mili­tär und selbst­or­ga­ni­sier­tem Schutz ange­sie­del­ten Insti­tu­ti­on „Poli­zei“ kam (vgl. dazu hier) gar nicht um eine Bekämp­fung von Ver­bre­chen ging. Die Not­wen­dig­keit zur Grün­dung einer sol­chen Insti­tu­ti­on ergab sich aus einer rasan­ten Ver­än­de­rung der Städ­te zu Beginn der Indus­tria­lie­rung; anwach­sen­de Bevöl­ke­run­gen, die Umstruk­tu­rie­rung der Arbeit zur Lohn­ar­beit und das Ent­ste­hen einer neu­en Klas­sen­ge­sell­schaft, die ein zuvor bestim­men­des, nach­feu­da­les Stän­de- und Zünf­te­sys­tem ablös­te, führ­ten in den gro­ßen Städ­ten zu zuneh­men­den Inter­es­sen­kon­flik­ten ein­zel­ner Bevöl­ke­rungs­grup­pen mit ande­ren: Unter­neh­mens­be­sit­zern und Arbei­tern, Arbei­tern und Tage­löh­nern aber auch von Alt­ein­ge­ses­se­nen mit neu in die Stadt drän­gen­den Ein­wan­de­r­er­grup­pen.

Die zuneh­men­den Zusam­men­rot­tun­gen und Streiks­lie­ßen sich mit bis dahin agie­ren­den neben­be­ruf­li­chen, durch Land- oder Fir­men­be­sit­zer zusam­men­ge­stell­te Tru­pen oder Frei­wil­li­ge, die in einem meist rotie­ren­den Sys­tem eine „Wäch­ter­funk­ti­on” aus­ge­übt hat­ten, nicht mehr unter Kon­trol­le brin­gen; zumal nicht sicher war, ob sie in einem Kon­flikt nicht sel­ber dar­über ent­schie­den, ob sie flüch­te­ten oder gar die Sei­te wech­sel­ten. Die neu geschaf­fe­ne Insti­tu­ti­on Poli­zei soll­te die (stadt-) gesell­schaft­li­chen „Neben­be­ruf­ler“ des­halb durch haupt­be­ruf­li­che Kräf­ten erset­zen. Denn in Fäl­len, in denen die Kon­trol­le zu ent­glei­ten droh­te, wur­de zur Bekämp­fung von Streiks und Auf­stän­den zuvor im Not­fall Mili­tär ein­ge­setzt, was oft zu gewalt­tä­ti­gen Ein­sät­zen gegen die Men­schen­men­gen führ­te. Unter Strei­ken­den kam es zu vom Mili­tär getö­te­ten Arbei­tern, was nicht sel­ten eine noch grö­ße­re Ent­schlos­sen­heit der Strei­ken­den beim nächs­ten Mal aus­lös­te. Die Kon­trol­le der neu­en Stadt­ge­sell­schaf­ten und die Siche­rung der Klas­sen­ge­gen­sät­ze war lücken­haft. Die „Poli­zei” soll­te die­se Lücke fül­len und zu einem effek­ti­ven, in der Regel aber weni­ger leta­len Mit­tel wer­den, gesell­schaft­li­che Kon­flik­te ein­zu­he­gen und mög­lichst schon vor dem Ent­ste­hen zu erken­nen. Von Anfang an wur­de die Poli­zei, anders als das beim kaser­nier­ten Mili­tär mög­li­ch war, des­halb als eine im All­tag der Men­schen ver­an­ker­te Insti­tu­ti­on kon­zi­piert. Die Über­tra­gung von Ver­bre­chens­be­kämp­fung von einer all­ge­mei­nen „Awa­ren­ess” auf die neue Insti­tu­ti­on dien­te dazu als Vehi­kel. Wo zuvor wort­wört­li­ch ein „Hal­tet den Dieb” zum kol­lek­ti­ven Ver­su­ch führ­te, eine Tat zu ver­hin­dern und bedroh­tes Eigen­tum zu schüt­zen, wen­de­ten sich von Dieb­stahl Betrof­fe­ne fort­an an die im Vier­tel prä­sen­ten Poli­zis­ten. Sie wur­den nach und nach zu den umgangs­sprach­li­ch noch lan­ge prä­sen­ten „Schutz­män­nern“, die vor Ort respek­tiert sein soll­ten und durch ihre Kennt­nis­se und Kon­tak­te früh­zei­tig von sich anbah­nen­den gesell­schaft­li­chen Kon­flik­ten zu erfah­ren.

Die Poli­zei befasst sich “mit Men­schen­men­gen, Wohn­vier­teln, anvi­sier­ten Tei­len der Bevöl­ke­rung – alles kol­lek­ti­ve Ein­hei­ten. Sie mögen das Gesetz anwen­den, um dies zu tun, aber ihre all­ge­mei­nen Richt­li­ni­en erhal­ten sie in der Form von Vor­ga­ben ihrer Vor­ge­setz­ten oder aus ihrer Berufs­er­fah­rung. Die Direk­ti­ven haben regel­mä­ßig offen kol­lek­ti­ven Cha­rak­ter – etwa die Kon­trol­le über ein wider­spens­ti­ges Vier­tel zu erlan­gen.”
(aus „Orig­ins of the poli­ce”)

Die Insti­tu­ti­on „Poli­zei” ist seit ihrer „Erfin­dung” als Ord­nungs­fak­tor zur Ein­he­gung von Men­schen­men­gen im öffent­li­chen Raum inten­diert. Um die­ser Auf­ga­be gerecht zu wer­den, soll sie die­je­ni­gen die sich dort auf­hal­ten, kon­trol­lie­ren. Sie wur­de dafür mit der Defi­ni­ti­ons­macht aus­ge­stat­tet, dar­über zu befin­den, was die „Ord­nung” öffent­li­cher Räu­me bedroht oder stört und was eben nicht. So auf­ge­fasst, sind vie­le Ent­schei­dun­gen heu­ti­ger Ein­satz­lei­tun­gen oft weni­ger ideo­lo­gi­sch als sys­tem­im­ma­nent zu ver­ste­hen. Eine ange­mel­de­te Demo ist nach Poli­zei-Defi­ni­ti­on bei­spiels­wei­se zunächst kei­ne Stö­rung der Ord­nung im öffent­li­chen Raum, zu der not­ge­drun­gen auch das Recht zählt, in einem eng von der Poli­zei bestimm­ten Rah­men demons­trie­ren zu dür­fen. Da eine Demo für die­sen Rah­men jedoch stets eine Gefähr­dung dar­stellt, wird sie mit gro­ßem Ein­satz beob­ach­tet und beglei­tet. Der poli­zei­li­che Rah­men wird bei „Class­less Kul­la“ tref­fend so beschrie­ben: „Die Poli­zei legt fest, wer wann und wo demons­triert, wel­che Auf­la­gen vor­her laut vor­ge­le­sen wer­den müs­sen, wann sich die Demo wie schnell bewegt und wann sie ste­hen­bleibt, wie die Betei­lig­ten geklei­det sind, wie groß ihre Trans­pa­ren­te sind, und in vie­len Fäl­len auch, wann und wo die Demo endet.“ Gegen­de­mons­tra­tio­nen, zum Bei­spiel gegen einen ange­mel­de­te Nazi-Auf­mar­sch, ent­spre­chen hin­ge­gen per se nicht der poli­zei­li­chen Defi­ni­ti­on eines „geord­ne­ten” Ablaufs. Sie stö­ren und bedro­hen noch wei­ter die von der Poli­zei gesetz­ten Rah­men­be­din­gun­gen. Die­se, All­tag und Äuße­run­gen eines Jeden (mit-) bestim­men­de Rol­le der Poli­zei wur­de und wird natür­li­ch nicht von vorn­her­ein akzep­tiert. Um eine Insti­tu­ti­on zu imple­men­tie­ren, die defi­ni­to­ri­sch wie durch das ihr zuge­dach­te „Gewalt­mo­no­pol” ganz fak­ti­sch jeder­zeit bestim­men kann, wo öffent­li­cher Raum beginnt, wo er auf­hört und wie sich belie­bi­ge Situa­tio­nen in ihm zuzu­tra­gen haben, bedarf es neben einer ent­spre­chen­den Gesetz­ge­bung einer wei­te­ren, psy­cho-sozia­len Vor­aus­set­zung: Sie benö­tigt beson­de­res Anse­hen und eine her­aus­ge­ho­be­ne Stel­lung gegen­über den zu Kon­trol­lie­ren­den. Sie benö­tigt den Respekt der Kon­trol­lier­ten und im Kon­flikt­fall auch die Unter­stüt­zung der ande­ren im öffent­li­chen Raum Anwe­sen­den.

In frü­hen Zei­ten, etwa zum Ende des vor­letz­ten, noch von feu­da­len Staats­struk­tu­ren gepräg­ten Jahr­hun­derts, gab es den erfor­der­li­chen Respekt qua Ver­fü­gung und mit­tels auto­ri­tä­ren Auf­tre­tens. Poli­zis­ten waren die Ver­tre­ter des gott­ge­ge­be­nen Herr­schers und als sol­che selbst­ver­ständ­li­ch mit dem Defi­ni­ti­ons­mo­no­pol aus­ge­stat­tet. (In den USA sah es anders aus. Hier erfolg­te u.a. ein lan­ges Rin­gen um das Gewalt­mo­no­pol, das bis heu­te andau­ert.) Die Lage der Poli­zei in Euro­pa änder­te sich mit der vor­an­schrei­ten­den Demo­kra­ti­sie­rung und Poli­ti­sie­rung der Gesell­schaft. Der „natür­li­che Respekt“ vor den die Mon­ar­chie reprä­sen­tie­ren­den Poli­zis­ten schwand. Die Poli­zei war zuneh­mend auf eine ande­re ide­el­le Absi­che­rung ange­wie­sen, woll­te sie ihre Rol­le in den Vier­teln und bei der Kon­trol­le von Men­schen­men­gen wei­ter erfül­len ohne dabei zu sehr bedrängt zu wer­den. Zumal es bis zum Ende des letz­ten Jahr­hun­derts zwi­schen Demons­trie­ren­den und Poli­zis­ten einen viel gerin­ge­ren Unter­schied in der Aus­rüs­tung gab als heu­te. An die Stel­le des die Mon­ar­chie reprä­sen­tie­ren­den „Schutz­man­nes“ trat das Bild des „Freund und Hel­fers“, das u.a. durch Hein­rich Himm­ler als Innen­mi­nis­ter des natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Deutsch­land geprägt wur­de und bei Poli­zis­tIn­nen ein bis heu­te belieb­ter Euphe­mis­mus ist. Der „ein­fa­che“, aus der Bevöl­ke­rung kom­men­de Poli­zist, der auf­op­fe­rungs­voll den Schutz vor den Gefähr­dun­gen des Zusam­men­le­bens gewähr­leis­tet, rück­te in den Fokus der (Selbst-) Dar­stel­lung. Die Sti­li­sie­rung der bei der Ent­füh­rung Hanns Mar­tin Schley­ers getö­te­ten Sicher­heits­kräf­te als „unschul­di­ge Opfer“ stellt einen Höhe­punkt die­ser gewünsch­ten Sicht­wei­se auf Poli­zis­ten dar. Mehr als Schley­ers Ent­füh­rung soll­te ihr Tod einen Angriff RAF auf die Gesamt­ge­sell­schaft bedeu­ten – sie hat­ten schließ­li­ch nur „ihre Arbeit gemacht”. Durch die­se Dar­stel­lung der Poli­zei als „aus dem Volk kom­mend” gelang es, sie als Teil der Gesell­schaft im Bewusst­sein zu ver­an­kern, wer Poli­zis­ten angriff griff die Gesell­schaft an. Angrif­fe auf Poli­zis­ten sol­len des­halb dop­pelt zäh­len: „Es wird ja nicht nur der Poli­zist als Men­sch ange­grif­fen; es wird ja der Staat ange­grif­fen.” (CDU-Innen­po­li­ti­ker Armin Schus­ter im DLF, Febru­ar 2017)

Anschlie­ßend wur­den die Unter­schie­de in Bewaff­nung und Aus­rüs­tung dann deut­li­ch ver­grö­ßert; inzwi­schen müs­sen Men­schen­men­gen auf jede Art so genann­ter „pas­si­ver Bewaff­nung“ wie Hel­me oder Gesichts­tü­cher ver­zich­ten, wäh­rend aus den Poli­zis­ten anony­me, gepan­zer­te „Riot-Cops“ wur­den. Damit kehr­ten jedoch auch die bereits von den Mili­tär­ein­sät­zen frü­he­rer Zei­ten bekann­ten Akzep­tanz­pro­ble­me zurück. Eine offen­sicht­li­che Unter­le­gen­heit führt bei Beherrsch­ten zwangs­läu­fig zu einem Man­gel an Respekt; er wird durch die alte Angst ersetzt. Auch wenn das bei der Kon­trol­le von Men­schen­men­gen hin­ge­nom­men wird, bei der im All­tag ver­an­ker­ten Poli­zei stellt das ein gro­ßes Pro­blem dar. Angst führt dort zu einer Dis­tan­zie­rung von der Poli­zei, es besteht die Gefahr, dass sich die Men­schen der Kon­trol­le durch die Poli­zis­tIn­nen ent­zie­hen. Für die eige­ne Über­hö­hung ist die in den Vier­teln agie­ren­de Poli­zei daher heu­te ver­mehrt auf die Unter­stüt­zung durch die Medi­en ange­wie­sen. Das erle­di­gen unter ande­rem Pres­se­ar­ti­kel, vor allem die täg­li­chen klei­nen Mel­dun­gen der Lokal­pres­se, die stän­dig die Rol­le der Poli­zei als Kor­rek­tur­fak­tor bei bedroh­li­chen Vor­fäl­len her­aus­strei­chen. Fast immer wört­li­ch aus Poli­zei­be­rich­ten abge­schrie­ben, stel­len sie grund­sätz­li­ch die Sicht der Poli­zei auf belie­bi­ge „Vor­fäl­le” dar. Eige­ne Recher­che zum The­ma­ti­sier­ten wird zumeist nicht geleis­tet. In Wup­per­tal ragt hier die Über­nah­me der Poli­zei­sicht beim ver­such­ten Mord von Nazis an einem Anti­fa­schis­ten 2015 am AZ als Nega­tiv­bei­spiel her­aus, aber auch die Emp­feh­lung des WDR-Sen­ders „1Li­ve“ anläss­li­ch der Pro­tes­te gegen den AfD-Par­tei­tag in Köln, sich der Ein­fach­heit hal­ber über den Twit­ter-Kanal der Köl­ner Poli­zei über das Gesche­hen zu infor­mie­ren, zeigt, wer die Medi­en­ar­beit macht, wenn es um Kon­flikt­si­tua­tio­nen geht. Doch selbst wenn ein­mal nach­re­cher­chiert wird, wird die Sicht­wei­se der Poli­zei oft im Umkehr­schluss bestä­tigt. Wenn in einem Arti­kel von “unver­hält­nis­mä­ßi­ger Poli­zei­ge­walt” die Rede ist, bedeu­tet das, dass es auch eine ver­hält­nis­smä­ßi­ge­re gibt. Der Poli­zei wird damit neben dem staat­li­chen Gewalt- auch das dis­kur­si­ve Mono­pol dazu über­las­sen, war­um etwas, wann, wo und durch wen geschah – oder was eben nicht (wenn es in ihren Berich­ten gar nicht vor­kommt). Spra­che und Ein­schät­zun­gen der Poli­zei erhal­ten so einen als Jour­na­lis­mus getarn­ten Kanal zur loka­len Bevöl­ke­rung.

Die Poli­zei hat dies ver­hin­dert, jenes auf­ge­deckt, sie ver­mel­det, beklagt, warnt. (…) Mel­dun­gen bestehen aus dem, was die Poli­zei sagt – ihre Spra­che, ihre Ein­schät­zung, ihr Selbst­ver­ständ­nis und vor allem ihre Feind­be­stim­mung prä­gen die öffent­li­che Bericht­erstat­tung (…)”. Die Poli­zei defi­niert, „was ‚mili­tant’ heißt, wann etwas ‚ver­ein­zelt’ geschah, wer über­haupt Agie­ren­de und Reagie­ren­de sind, wer zum Han­deln gezwun­gen war und (…) was sich ‚not­wen­dig mach­te’ (…)”. (aus „All Cops are Staats­ge­walt”)

Den Rest besorgt eine Unter­hal­tungs­ma­schine, in der jeden Abend wohl­wol­len­de, nach­denk­li­che, höchst mensch­li­che und idea­lis­ti­sche Kom­mis­sa­re an der Sei­te der Bedroh­ten, Bedräng­ten und Ernied­rig­ten die eige­ne Ehe und Gesund­heit ris­kie­rend über die Bild­schir­me in die Wohn­zim­mern flim­mern. Das alles führt zu unvor­stell­bar gran­dio­sen Wer­ten, wenn die Bevöl­ke­rung nach ihrem Ver­trau­en in Insti­tu­tio­nen gefragt wird. Die Poli­zei ran­giert bis heu­te unan­ge­foch­ten auf dem ers­ten Platz, vor der Jus­tiz (was auch ein schlech­ter Witz ist…). 80% schen­ken der Poli­zei ihr Ver­trau­en. Und obwohl das ein Indiz dafür ist, dass die Ver­an­ke­rung der Ord­nungs­macht in der Gesell­schaft kaum gerin­ger scheint als zu Kai­sers Zei­ten, spricht trotz­dem viel dafür, dass der Poli­zei zuneh­mend unwohl in ihrer Haut gewor­den ist. Die bei der Ein­füh­rung des neu­en Para­gra­phen 114 viel zitier­ten Sta­tis­ti­ken, die einen Anstieg angeb­li­cher Gewalt­de­lik­te gegen Poli­zis­tIn­nen bele­gen sol­len, sagen näm­li­ch zwei­er­lei aus. Neben einer in Poli­zei­krei­sen viru­len­ten Ten­denz zur Kri­mi­na­li­sie­rung des Gegen­über gibt es wohl tat­säch­li­ch eine sub­jek­tiv emp­fun­de­ne Bedro­hungs­la­ge, die sich in den auf Aus­sa­gen von Poli­zis­tIn­nen basie­ren­den Ein­satz­pro­to­kol­len abbil­det (es gibt kei­ne objek­ti­ve Erfas­sung aus­ge­üb­ter Gewalt gegen Poli­zis­tIn­nen, es gibt nur die von ihnen selbst zu Pro­to­koll gege­be­nen „Vor­fäl­le“). Mit Recht wird kri­ti­siert, deren sub­jek­ti­ven Emp­fin­dun­gen zur sta­tis­ti­schen Grund­la­ge eines Geset­zes gemacht zu haben, dass sich jedoch in der Sta­tis­tik eine offen­bar zuneh­men­de Opfer­per­spek­ti­ve wider­spie­gelt, ist ein­deu­tig. Wie fal­sch die so erstell­ten Sta­tis­ti­ken aller­dings sein müs­sen, lässt sich an ande­ren, vor­han­de­nen objek­ti­ven Zah­len able­sen: Bei­spiels­wei­se an der Dis­kre­panz zwi­schen „voll­ende­ter“ und „ver­such­ter schwe­rer Kör­per­ver­let­zung“. Weist die Kri­mi­na­li­täts­sta­tis­tik auf ein­hun­dert Fäl­le von „schwe­rer Kör­per­ver­let­zung“ 16 Taten aus, bei denen es ledig­li­ch bei einem Ver­su­ch dazu blieb, ver­schiebt sich das Ver­hält­nis der „ver­such­ten schwe­ren Kör­per­ver­let­zun­gen“ zu den „voll­ende­ten“ bei Poli­zis­tIn­nen zu unglaub­li­chen 125 zu 100. Von Poli­zis­tIn­nen wird also ein Viel­fa­ches an „ver­such­ten schwe­ren Kör­per­ver­let­zun­gen“ ange­zeigt als im Leben all­ge­mein vor­kom­men. (Quel­le: beck-com­mu­ni­ty)

Wenn Fäl­le von durch Dienst­mü­dig­keit oder Corps­geist beding­ten Krank­schrei­bun­gen und Schmer­zen in Abzug gebracht wer­den, ist die ver­blei­ben­de Dis­kre­panz nicht allein durch Gegen­an­zei­gen oder Kri­mi­na­li­sie­rungs­ver­su­che durch die Poli­zei erklär­bar. Ein nicht unwe­sent­li­cher Teil muss auf dem sub­jek­ti­ven Gefühl basie­ren, tat­säch­li­ch bedroht oder ange­grif­fen zu wer­den. Doch woher kommt das Gefühl der Poli­zei, sich auf so unsi­che­rem Ter­rain zu bewe­gen? Es gibt dafür auch objek­ti­ve Umstän­de. Bei­spiels­wei­se ist die Poli­zei zwar auf ihrem urei­ge­nen Ter­rain, der Kon­trol­le von Men­schen­men­gen und Auf­stands­be­kämp­fung so gut aus­ge­rüs­tet wie nie zuvor, im für das sub­jek­ti­ve Gefühl ent­schei­den­den Poli­zei-All­tag ist sie jedoch oft mate­ri­ell im Hin­ter­tref­fen. Wo Pro­to­kol­le noch auf einem „Win­dows 97“-Rechner ver­fasst wer­den müs­sen, agiert das Gegen­über mitt­ler­wei­le mit schnel­len und mobi­len Devices und Ver­schlüs­se­lungs­tech­no­lo­gi­en. Medun­gen zu vom schma­lem Gehalt selbst gekauf­ten Schutz­wes­ten und wegen ver­sa­gen­der Funk­kom­mu­ni­ka­ti­on bei Ein­sät­zen bevor­zug­ten Mobil­te­le­fo­nen tra­gen sicher auch zum Gefühl der Unter­le­gen­heit und Ver­un­si­che­rung bei. Dort, wo Poli­zis­tIn­nen den für die unge­fähr­de­te Kon­trol­le eines Vier­tels benö­tig­ten Respekt der Kon­trol­lier­ten erfah­ren müss­ten, erle­ben sie so teil­wei­se das Gegen­teil. Zum ande­ren ver­sagt das nach Aner­ken­nung hei­schen­de Bild vom in der Mit­te der Gesell­schaft befind­li­chen Poli­zis­ten, wenn es auf Men­schen trifft, die sich ihrer­seits gar nicht als Teil der Gesell­schaft erfah­ren kön­nen. Die immer mehr mani­fes­tier­te sozia­le Spal­tung der Gesamt­ge­sell­schaft führt bei jenen 20%, für die die Poli­zei nicht (mehr) eine Insti­tu­ti­on ist, der Ver­trau­en geschenkt wird, zu einem ver­än­der­tem Ver­hal­ten. Men­schen, die sich nicht mehr sor­gen, bei „Auf­müp­fig­keit“ exklu­diert zu wer­den, weil sie auf Inklu­si­on ohne­hin kei­ne Aus­sicht haben, kün­di­gen den seit der „Erfin­dung“ der „Schutz­män­ner“ geschlos­se­nen Pakt auf. Sie emp­fin­den deren Arbeit nicht län­ger als „Schutz“. Als „Frech­heit“ emp­fun­de­ne Reak­tio­nen im All­tag neh­men zu, Wider­sprü­che häu­fen sich und Anord­nun­gen wird nicht unbe­dingt umge­hend und wider­spruchs­los Fol­ge geleis­tet. „Es gibt zu vie­le Mit­bür­ger, die den Men­schen in Uni­form pro­vo­zie­ren und stän­dig her­aus­fin­den wol­len, wer der Stär­ke­re ist.” (Gewerk­schaft der Poli­zei im März 2017) Sol­ch „auf­säs­si­ges“ Ver­hal­ten eines Gegen­über ist für das Ver­un­si­che­rungs­ge­fühl von Poli­zis­tIn­nen ent­schei­den­der als die – ohne­hin zurück­ge­hen­de – rea­le Gefahr, auf die Fres­se zu krie­gen. Wie groß der Frust über ihren Poli­zei­all­tag bei Poli­zis­tIn­nen ist, ist bei jeder lin­ken Demo zu erle­ben; also sobald die Poli­zei auf jenes Spiel­feld gelangt, auf dem sie den Vor­teil über­le­ge­ner Aus­rüs­tung hat.

Der Druck, den Lob­by­ver­tre­ter der Poli­zei, wie der lan­ge Zeit unaus­weich­li­che Rai­ner Wendt, gemacht haben, ein Gesetz wie den § 114 ein­zu­füh­ren, ist des­halb vor allem auch als Hand­rei­chung für eine im Dienst zuneh­mend frus­trier­te Poli­zei zu ver­ste­hen. Die durch den neu­en § 114 von der Jus­tiz auf das Hand­lungs­feld der Poli­zei ver­la­ger­te Macht, ein „auf­säs­si­ges“ Gegen­über zukünf­tig qua Anzei­ge wegen eines ver­meint­li­chen „tät­li­chen Angriffs“ mit drei Mona­ten Gefäng­nis zu „bestra­fen“, ent­fal­tet ihre Wir­kung vor allem im All­tags­ge­schäft, wo sie die Kräf­te­ver­hält­nis­se zwi­schen Kon­trol­lie­ren­den und Kon­trol­lier­ten und das sub­jek­ti­ve Über­le­gen­heits­ge­fühl von Poli­zis­tIn­nen wie­der her­stel­len soll. Dass die Poli­tik dem, aller juris­ti­schen Vor­be­hal­te gegen das Gesetz zum Trotz, nach­kom­men wird, spricht für eine auch poli­ti­sche Ver­un­si­che­rung. Die Tat­sa­che revol­tie­ren­der reak­tio­nä­rer Bevöl­ke­rungs­schich­ten in Kom­bi­na­ti­on mit einer im All­tag frus­trier­ten Poli­zei, die in wei­ten Tei­len ohne­hin eine berufs­be­ding­te Nähe zu den reak­tio­nä­ren Pro­tes­ten auf­weist, erscheint Herr­schen­den mit Recht gefähr­li­ch. Kön­nen sie sich nicht mehr auf die Loya­li­tät der haupt­be­ruf­li­chen „Wäch­ter“ ver­las­sen, gerät die Grund­la­ge ihrer Herr­schaft in Gefahr – heu­te wie zu Zei­ten, in denen die Poli­zei als Insti­tu­ti­on „erfun­den“ wur­de. Wie sowas aus­se­hen kann, konn­te nicht nur in Sach­sen inzwi­schen mehr­fach beob­ach­tet wer­den: Die Poli­zei kommt ihrem Auf­trag zum Schutz von Poli­ti­kern oder zur Auf­lö­sung von rech­ten Mobs ein­fach nicht län­ger nach, was frei­li­ch immer ohne Kon­se­quen­zen bleibt. Hier­in fin­det sich die eigent­li­che Bedeu­tung des Wor­tes „Poli­zei­staat“, das zumeist auf die Bedeu­tung aus­ge­üb­ter Poli­zei­ge­walt redu­ziert wird. „Poli­zei­staat“ bedeu­tet über ver­sprüh­tes Pfef­fer­spray hin­aus vor allem, gegen­über „Auf­trag­ge­bern“ in der effek­ti­ven Macht­po­si­ti­on zu sein. Denn wäh­rend die „Auf­trag­ge­ber“, also die Innen­mi­nis­ter als Dienst­her­ren, alle paar Jah­re bei Wahlen um ihre Posi­ti­on fürch­ten müs­sen – also von der durch die Poli­zei zu gewähr­leis­ten­den „Auf­recht­erhal­tung der Ord­nung“ abhän­gig sind – sind die ört­li­chen Poli­zei­prä­si­den­tIn­nen und Poli­zis­tIn­nen beam­tet und wer­den so auch den nächs­ten Innen­mi­nis­ter im Job über­le­ben. Die Poli­tik ist der Poli­zei im Ernst­fall aus­ge­lie­fert und kann sich deren For­de­run­gen kaum ent­zie­hen.

Wenn eine Poli­zei­prä­si­den­tin wie die in Wup­per­tal täti­ge Bir­git­ta Rader­ma­cher im Rechts­aus­schuss des Bun­des­ta­ges zur Ein­füh­rung des § 114 for­dert, in Zukunft das Foto­gra­fie­ren und Fil­men von Poli­zei­ein­sät­zen zu ver­bie­ten (womit Betrof­fe­nen auch die letz­te Beweis­mög­lich­keit für nicht statt­ge­fun­de­ne „tät­li­che Angrif­fe“ genom­men wür­de, wäh­rend die Poli­zei gleich­zei­tig mit „Body­cams“ ihre jewei­li­ge Sicht fil­mi­sch nach Belie­ben doku­men­tie­ren kann) dann muss davon aus­ge­gan­gen wer­den, dass die Poli­tik die­se For­de­rung über kurz oder lang auch umset­zen wird. Die­se, auf den real exis­tie­ren­den „Poli­zei­staat“ ver­wei­sen­de poli­ti­sche Ver­un­si­che­rung steht in kras­sem Gegen­satz zu einem bestän­dig pro­pa­gier­ten Glau­ben an den „Rechts­staat“, der aus uner­find­li­chen Grün­den auch in der Lin­ken tief ver­an­kert ist. Empör­te Ver­wei­se auf das Grund­ge­setz bei der nächs­ten Umset­zung poli­zei­li­cher For­de­run­gen und hilf­lo­se Pres­se­er­klä­run­gen nach der nächs­ten gewalt­sa­men Auf­lö­sung eines Pro­tes­tes zeu­gen davon, sich über die Situa­ti­on und die Ver­fasst­heit der Gesell­schaft unklar zu sein. Das ist auch zu beob­ach­ten, wenn unter Ver­weis auf „isla­mis­ti­schen Ter­ror“ und auf rech­te Pro­pa­gan­da neue gesetz­li­che Vor­ha­ben dis­ku­tiert und umge­setzt wer­den, die fun­da­men­tal in jenen ima­gi­nier­ten „Rechts­staat“ ein­grei­fen. Die Ein­füh­rung von „Zen­sur­be­hör­den“ in sozia­len Medi­en, oder die Dis­kus­si­on über Fuß­fes­seln für an kei­ner Stel­le defi­nier­te „Gefährder“-Gruppen sind nur zwei Bei­spie­le. Vor allem die geplan­ten Fuß­fes­seln für „Gefähr­der“ sind ein gutes Bei­spiel für die wei­ter aus­grei­fen­de Ver­la­ge­rung poli­zei­li­cher Defi­ni­ti­ons­macht in einen nun auch „prä­ven­ti­ven“ Bereich. In die­sem wird es der Poli­zei künf­tig mög­li­ch sein, ihre Funk­ti­on unter voll­stän­di­gem Ver­zicht auf bestehen­de Geset­ze aus­zu­üben, denn ein „Gefähr­der“ hat noch gegen kein Gesetz ver­sto­ßen. Je nach „Lage“, wie die Poli­zei es nennt, könn­te er oder sie es jedoch viel­leicht in Zukunft tun. Von einer, den inzwi­schen sech­zehn­jäh­ri­gen „Krieg gegen den Ter­ror“ beglei­ten­den Gehirn­wä­sche mit stän­di­gen Bedro­hungs­sze­na­ri­en über­rum­pelt, bleibt das lin­ke Inter­es­se an sol­chen Geset­zes­vor­ha­ben eher beschei­den. Denn oft wird nur wahr­ge­nom­men, was für uns selbst bedroh­li­ch ist. Dass das meis­te, was zur Zeit dis­ku­tiert wird, uns nicht trifft, liegt trau­ri­ger­wei­se jedoch nur dar­an, zur Zeit nicht wirk­li­ch als „Gefähr­der“ wahr­ge­nom­men zu wer­den. Das gilt auch für den § 114, trotz sei­ner end­gül­ti­gen Ver­ab­schie­dung im Bun­des­tag am 27. April, also noch „recht­zei­tig“ vor den Pro­tes­ten zum G20-Gip­fel in Ham­burg.

Die Stoß­rich­tung des neu­en Geset­zes zielt, wie bereits geschil­dert, nicht auf die Ver­hin­de­rung einer unmit­tel­bar bevor­ste­hen­den Revo­lu­ti­on von links, son­dern auf die Wie­der­er­lan­gung poli­zei­li­cher Auto­ri­tät in den Kie­zen und Vier­teln. Gleich­wohl wer­den sie selbst­ver­ständ­li­ch auch gegen anti­fa­schis­ti­sche Demons­tran­tio­nen und lin­ke Pro­tes­te zur Anwen­dung gebracht wer­den. Die wich­tigs­te Fol­ge für das eige­ne Han­deln im Hand­ge­men­ge, die durch den neu­en Para­gra­phen ein­tre­ten wird: Wie künf­tig mit von Poli­zei­ge­walt Betrof­fe­nen soli­da­ri­sch sein, wenn unser bis­he­ri­ges Han­deln; das Hin­lau­fen, Fest­hal­ten, das ver­such­te Raus­zie­hen und genaue Beob­ach­ten nicht etwa hilft, son­dern die Kon­se­quen­zen für die Betrof­fe­nen sogar ver­schlim­mert? Immer­hin sieht der neue §114 vor, die Min­dest­stra­fe von drei Mona­ten zu ver­dop­peln, wenn ein „tät­li­chen Angriff“ von zwei oder mehr Per­so­nen „began­gen“ wird. Kurz: Gelingt die „Gefan­ge­nen­be­frei­ung“ nicht, droht allen Betei­lig­ten ein hal­bes Jahr Knast wenn die Poli­zei es will. Trotz­dem wer­den die Fol­gen des § 114 haupt­säch­li­ch für ande­re anders­wo zu spü­ren sein: Bei „ver­dachts­ab­hän­gi­gen“ wie bei „-unab­hän­gi­gen“ Per­so­nen­kon­trol­len, beim „Raci­al Pro­filing“, bei nicht umge­hend und still befolg­ten „Platz­ver­wei­sen“ etwa für Woh­nungs­lo­se, bei berech­tig­ten Aus­ras­tern im Job­cen­ter, bei Pfän­dungs­maß­nah­men der Behör­den oder bei Zwangs­räu­mun­gen von Woh­nun­gen. Nicht zu ver­ges­sen bei von der Poli­zei erkann­ten „Gefähr­dungs­la­gen“ durch an Stra­ßen­ecken Her­um­ste­hen­de, durch Dro­gen­dea­ler, Bier­trin­ker und ganz all­ge­mein durch Men­schen, die allein durch ihre Anwe­sen­heit die Odnung eines öffent­li­chen Raums „gefähr­den“ könn­ten. Ihnen gegen­über wer­den Poli­zis­tIn­nen die neue Macht aus­spie­len. Und das meist von der Öffent­lich­keit unbe­merkt, und wenn, dann mit zustim­men­der Bil­li­gung durch die Mehr­heits­ge­sell­schaft, wie Reak­tio­nen auf die immer wie­der medi­en­wirk­sam durch­ge­führ­ten poli­zei­li­chen Groß­kon­trol­len in „Gefah­ren­ge­bie­ten“, an „sozia­len Brenn­punk­ten“ oder all­ge­mein in so genann­ten „Angst­räu­men“ zei­gen. Der neue Para­gra­ph ist eine Reak­ti­on auf die Ver­un­si­che­rung der Poli­tik auf die fort­schrei­ten­de sozia­le Spal­tung. Er berei­tet den Rah­men für eine rück­sichts­lo­se Kon­trol­le des öffent­li­chen Raums. Die Fixie­rung lin­ker Kri­tik auf grö­ße­re Repres­si­on gegen mög­li­che Pro­tes­te ver­kennt das eigent­li­che Poten­ti­al des Geset­zes. Sie macht gleich­zei­tig Chan­cen für sinn­vol­le Inter­ven­ti­on unsicht­bar, denn vie­le in der Zukunft Betrof­fe­ne wer­den die Ent­wick­lun­gen gar nicht auf­merk­sam ver­fol­gen. Es gäl­te des­halb, mit ihnen Kon­takt auf­zu­neh­men, sie über das neue Gesetz zu infor­mie­ren und Kanä­le zu öff­nen, auf denen dro­hen­de Falsch­an­zei­gen und Über­grif­fe durch die Poli­zei kom­mu­ni­ziert wer­den kön­nen.

Die gegen­wär­ti­gen Aus­ein­an­der­set­zun­gen um „Sicher­heit“ und die­se angeb­li­ch sicher­stel­len­den Geset­ze sind Aus­ein­an­der­set­zun­gen um öffent­li­chen Raum, nach­dem die Mehr­heits­ge­sell­schaft auf das Ver­trau­en jener, die exklu­diert sind zuneh­mend ver­zich­tet und die Poli­tik den Anspruch auf „Inte­gra­ti­on“ mehr und mehr zuguns­ten einer offe­nen Repres­si­on auf­gibt. Nach in den letz­ten Jah­ren ver­mehrt aus­ge­spro­che­nen Ver­bo­ten öffent­li­chen Alko­hol­kon­sums und teil­wei­se per­ma­nen­ten Kon­trol­len ein­zel­ner Grup­pen, sowie immer wei­ter pri­va­ti­sier­ten ehe­mals öffent­li­chen Zonen in den Innen­städ­ten wird die nächs­te Stu­fe in der Aus­ein­an­der­set­zung dar­um gezün­det, wer den öffent­li­chen Raum zu was nut­zen darf. Aller­dings wird mit dem Rück­zug eines „mode­rie­ren­den“ Staa­tes und des Anspruchs sei­ner Poli­zei, ohne Aus­nah­me „für alle“ da zu sein, in den Kie­zen und Vier­teln auch eine Leer­stel­le geschaf­fen, die eine akti­ve Lin­ke im Kampf um die­sen öffent­li­chen Raum eigent­li­ch beset­zen müss­te. Das setz­te aller­dings not­wen­di­ger­wei­se Inter­es­se an und Koope­ra­ti­on mit peri­phe­ren Grup­pen vor­aus. Das weit­ge­hen­de Des­in­ter­es­se in der deut­schen Lin­ken an den immer wie­der hef­tig geführ­ten Kämp­fen in den fran­zö­si­schen Ban­lieues, wo eine sol­che Ent­wick­lung im fort­ge­schrit­te­nen Sta­di­um zu besich­ti­gen ist, und wo manch­mal gan­ze Vier­tel gegen Poli­zei­ge­walt revol­tie­ren, lässt aber zwei­feln. Das Ver­har­ren in der eige­nen Wirk­lich­keits­bla­se ver­hin­dert aber nicht nur die Wahr­neh­mung von Ver­schär­fun­gen der Lage, son­dern auch das Ent­ste­hen neu­er Koali­tio­nen auf der Stra­ße an denen wir betei­ligt sind (und nicht fun­da­men­ta­lis­ti­sche oder sogar rech­te Struk­tu­ren). Gleich­zei­tig behin­dert es auch eine stra­te­gi­sche Ana­ly­se gesell­schaft­li­cher Ent­wick­lun­gen und Brü­che. Dabei könn­te uns die Ent­wick­lung sogar in die Hän­de spie­len, denn sie eröff­net eben nicht nur neue Inter­ven­ti­ons­fel­der.

Sie müss­te eben­so zu einem Hin­ter­fra­gen eige­ner Akti­ons­for­men und seit Jah­ren bestehen­der Rou­ti­nen füh­ren – nicht nur, weil die ange­spro­che­nen nöti­gen Inter­ven­tio­ne­n­en nicht in der Form lega­li­sier­ter Pro­tes­te ablau­fen kön­nen, weil den Betrof­fe­nen appel­la­tiv in Kame­ras gehal­te­ne Pro­test­schil­der weni­ger hel­fen als das Her­stel­len von Über­zahl im geeig­ne­ten Moment. Auch das Repres­si­ons­po­ten­ti­al, das sich tat­säch­li­ch gegen lin­ke Struk­tu­ren rich­ten wird, erfor­der­te zum Bei­spiel die Über­prü­fung der Gewohn­heit, dass Demons­tra­tio­nen seit Jah­ren in der Regel nur noch ange­mel­det statt­fin­den. Schon bis­her muss die Tat­sa­che, bewusst und aus­schließ­li­ch auf jene Spiel­fel­der zu mobi­li­sie­ren, auf denen die Poli­zei bes­tens vor­be­rei­tet und mit weit über­le­ge­ner Aus­rüs­tung agiert, mehr als ein Stirn­run­zeln aus­lö­sen. Wenn künf­tig auch die Teil­nah­me an aus­schließ­li­ch ange­mel­de­ten Demos nicht mehr wenigs­tens mit hin­rei­chen­der Sicher­heit vor einer Haft­stra­fe schützt, war­um soll­te die­ser Nach­teil dann noch län­ger hin­ge­nom­men wer­den? Es nicht mehr zu tun, eröff­ne­te neue stra­te­gi­sche Mög­lich­kei­ten. Bis­her ist es noch zu kei­nem Anlass ist es gelun­gen, eine durch Groß­er­eig­nis­se beding­te Per­so­nal­schwä­che der Poli­zei an ande­ren Orten zu unse­ren Guns­ten aus­zu­nut­zen. Doch das muss ja nicht so blei­ben. Dezen­tral, kurz, schnell und vor allem unbe­re­chen­bar müss­ten unse­re Reak­tio­nen aus­fal­len, gera­de weil die Poli­zei im All­tags­ge­sche­hen den Vor­teil der Über­zahl und über­le­ge­ner Aus­rüs­tung nicht – oder nur mit erheb­li­cher Ver­zö­ge­rung – aus­spie­len kann. Es ist also fal­sch, den an vie­len Stel­len lau­fen­den Geset­zes­ver­schär­fun­gen und dem Aus­bau des repres­si­ven Appa­rats nur bekla­gend und mit Furcht zu begeg­nen. Natür­li­ch muss umsich­tig und vor­be­rei­tet damit umge­gan­gen wer­den; vor allem aber soll­te es uns auf­zei­gen, wie ver­un­si­chert Herr­schen­de und ihre Poli­zei sein kön­nen, wenn der gesell­schaft­li­che Grund­kon­sens zer­fällt. Und die­se Ver­un­si­che­rung soll­te uns auf jene Hand­lungs­fel­der füh­ren, an denen wir sie aus­nut­zen und ver­stär­ken kön­nen – ger­ne gemein­sam mit ande­ren, die sich im Kampf um den öffent­li­chen Raum befin­den.