Autoritäre Entwicklungen I

Ver­an­stal­tung­be­richt Teil 1 – Poli­ti­sche Pro­zes­se (Teil 2)

Der „Krieg gegen den Ter­ror” dau­ert inzwi­schen seit fast sech­zehn Jah­ren. In den letz­ten andert­halb Deka­den hat er sich in Gesell­schaf­ten hin­ein­ge­fres­sen und zu zuneh­mend auto­ri­tä­ren Ent­wick­lun­gen geführt. Fast alle Aspek­te des Daseins (und der poli­ti­schen Kämp­fe sowie­so) sind inzwi­schen von Maß­nah­men zur Erhö­hung einer vor­geb­li­chen „Sicher­heit” erfasst und es ist sehr schwer alle Ver­schär­fun­gen zu regis­trie­ren, geschwei­ge denn, sie in Zusam­men­hän­ge zu brin­gen. Die Aus­wei­tun­gen repres­si­ver Geset­ze erfol­gen mal gegen die­se, mal gegen jene angeb­li­che oder ech­te Bedro­hung; ihre Aus­wir­kun­gen betref­fen jedoch alle die mit der Staats­ge­walt in Kon­flikt gera­ten kön­nen. Im Nach­gang des Anschlags auf den Ber­li­ner Weih­nachts­markt erlebt auch die BRD wie­der ein­mal eine mas­si­ve Aus­wei­tung staat­li­cher Befug­nis­se und juris­ti­scher Hand­ha­be. Mit die­sem Ver­an­stal­tungs­be­richt zur Anti-Repres­si­ons­ver­an­stal­tung am 28.3. in Wup­per­tal soll das Gan­ze etwas geord­net wer­den.

Im Ver­lauf des Abends ging es zunächst um Ver­schie­bun­gen der Rechts­spre­chung in so genann­ten „Ter­ro­ris­ten­pro­zes­sen” die der­zeit meist gegen migran­ti­sche Men­schen geführt wer­den, denen eine Unter­stüt­zung oder Mit­glied­schaft in „aus­län­di­schen ter­ro­ris­ti­schen Ver­ei­ni­gun­gen” ange­hext wird und um die offen­kun­di­ge Vor­be­rei­tung wei­te­rer § 129b-Ver­fah­ren gegen bis­lang noch lega­le Struk­tu­ren der kur­di­schen Bewe­gung. Wich­ti­ger Schwer­punkt war dann abschlie­ßend die geplan­te Ein­füh­rung eines neu­en Para­gra­phen (§114), der „tät­li­che Angrif­fe gegen Voll­stre­ckungs­be­am­te oder ihnen gleich­ge­stell­te Per­so­nen” zukünf­tig mit einer Min­dest­haft­stra­fe von drei Mona­ten bedro­hen soll (sie­he hier­zu den zwei­ten Teil des Berichts). Ein­ge­la­den zur Dis­kus­si­on waren die so_­ko_wpt-Akti­vis­tin Lati­fe, die bekannt­li­ch auf­grund einer absur­den Ankla­ge­kon­struk­ti­on am 16. Febru­ar 2017 zu einer Haft­stra­fe von drei Jah­ren und drei Mona­ten wegen angeb­li­cher „Mit­glied­schaft” in der tür­ki­schen DHKP-C ver­ur­teilt wur­de, und einer ihrer Anwäl­te, Yener Sözen, der auch ein Man­dat beim bis­lang größ­ten § 129b-Pro­zess in Mün­chen hat. Dort sind gleich zehn Men­schen ange­klagt, der tür­ki­schen TKP/ML anzu­ge­hö­ren, obwohl die­se bis zum heu­ti­gen Tag nicht auf der euro­päi­schen „Ter­ror­lis­te” auf­ge­führt ist. Gekom­men waren auch kur­di­sche Akti­vis­tIn­nen.

In bei­den Ver­fah­ren wird die Anwend­bar­keit des stig­ma­ti­sie­ren­den und mit hohen Straf­an­dro­hun­gen ver­bun­de­nen § 129 über das bis­he­ri­ge Maß aus­ge­wei­tet. Das Urteil gegen Lati­fe spricht bei­spiels­wei­se von einer Mit­glied­schaft in der DHKP-C durch einen „auto­no­men, eige­nen Ent­schluss”, weil sich auch durch mona­te­lan­ge Maß­nah­men zur Über­wa­chung Lati­fes weder eine Beauf­tra­gung durch die Fun­tio­närs­ebe­ne der Orga­ni­sa­ti­on noch ein kon­kre­tes Ereig­nis nach­wei­sen ließ, an dem Lati­fe Mit­glied der DHKP-C gewor­den sein soll. Da die Mit­glied­schaft jedoch für die jus­ti­zia­ble Wand­lung von lega­len Betä­ti­gun­gen, wie etwa die Teil­nah­me oder Vor­be­rei­tung von Demos oder Ver­an­stal­tun­gen, zu so genann­ten „Unter­stüt­zungs­hand­lun­gen” Vor­aus­set­zung ist, stellt die­se Beweis­lo­sig­keit für die Behör­den ein Dilem­ma dar. Die­sem setz­te das Gericht nun die so ein­fa­che wie absur­de Behaup­tung ent­ge­gen, jemand kön­ne sich auch ohne Kennt­nis der Füh­rung­ka­der zum Mit­glied einer „ter­ro­ris­ti­schen Orga­ni­sa­ti­on” machen. Damit hebel­te es die Not­wen­dig­keit aus, Beschul­dig­ten eine Mit­glied­schaft im Ein­zel­fall nach­wei­sen zu müs­sen. Bleibt der BGH im Revi­si­ons­ver­fah­ren bei die­ser Aus­le­gung, macht das den Behör­den zukünf­tig mög­li­ch, Per­so­nen, die etwa ledig­li­ch in Besitz von Lite­ra­tur oder ande­ren Mate­ria­li­en einer ale „ter­ro­ris­ti­sch” ein­ge­stuf­ten Orga­ni­sa­ti­on sind und an ange­mel­de­ten Demos teil­nah­men, als „selbst­de­fi­nier­te” Mit­glie­der zu ver­fol­gen. Aus der ein­fa­chen Demons­tra­ti­ons­teil­nah­me wird dann eine Unter­stüt­zungs­hand­lung. In Kom­bi­na­ti­on mit der Münch­ner Ankla­ge, in der es selbst an einer Defi­ni­ti­on der betrof­fe­nen Orga­ni­sa­ti­on als „ter­ro­ris­ti­sch” fehlt, eröff­net das Behör­den völ­lig neue Mög­lich­kei­ten zur Kri­mi­na­li­sie­rung poli­ti­sch akti­ver Men­schen.

Doch auch wenn die­se Aus­wei­tun­gen aktu­ell in Ver­fah­ren gegen lin­ke Akti­vis­tIn­nen erfol­gen, heißt das nicht, dass es spe­zi­ell und vor allem gegen lin­ke Struk­tu­ren gerich­te­te Ver­schär­fun­gen sind. So ist bei­spiels­wei­se die juris­ti­sche Neu­kon­struk­ti­on einer „selbst­de­fi­nier­ten Mit­glied­schaft” vor allem auch gegen Sym­pa­thi­san­ten von isla­mis­ti­schen Grup­pen anwend­bar; ein Feld, in dem die Ver­fol­gungs­be­hör­den mit ihren Ver­su­chen zur Infil­tra­ti­on bis­lang wenig erfolg­reich waren, wes­halb es an kon­kre­ten Nach­wei­sen für den „Ein­tritt” in eine Orga­ni­sa­ti­on oft man­gelt. Auf der ande­ren Sei­te wer­den in Pro­zes­sen gegen Unter­stüt­ze­rIn­nen von in Syri­en oder dem Irak akti­ven isla­mis­ti­schen Grup­pen von Lin­ken fast unbe­merkt Rechts­nor­men neu gesetzt, die eben­so gegen sie selbst in Stel­lung gebracht wer­den kön­nen. Ver­wie­sen sei bei­spiels­wei­se auf das Urteil in Han­no­ver gegen eine jugend­li­che Atten­tä­te­rin, die mit einem Mes­ser auf Poli­zis­ten los­ge­gan­gen war. In ihrem Pro­zess wur­de nicht nur sie ver­ur­teilt, son­dern auch ein Bekann­ter, der zuvor von ihren Plä­nen wuss­te, mög­li­cher­wei­se aus­weis­li­ch von durch die Behör­den sicher­ge­stell­ten Chat-Pro­to­kol­len. Das angeb­li­che „Vor­wis­sen” führ­te zu einer zwei­jäh­ri­gen Haft­stra­fe ohne Bewäh­rung. Ein har­tes Urteil, das in ver­gleich­ba­ren Fäl­len so bis­lang noch nicht gefällt wur­de. Es könn­te auch für Lin­ke bedeu­ten, zukünf­tig jede Chat­grup­pe und jede Ver­samm­lung umge­hend zu ver­las­sen, in denen über mög­li­cher­wei­se straf­recht­li­ch rele­van­te Ide­en gere­det wird. Alter­na­tiv blie­be nur eine Denun­zia­ti­on blie­be, was zumin­dest bes­tens dazu geeig­net ist, in poli­ti­schen Struk­tu­ren Miss­trau­en zu pro­du­zie­ren.

Pro­ble­ma­ti­sch ist, dass Ände­run­gen und Ver­schär­fun­gen von vie­len oft nur wahr­ge­nom­men wer­den, wenn sie die eige­ne Fil­ter-Bub­ble direkt betref­fen. Nicht nur wesent­li­che Ver­än­de­run­gen der Bedin­gun­gen für eige­nes Han­deln blei­ben so teil­wei­se unbe­merkt, es fehlt auch an spek­tren­über­grei­fen­den Stra­te­gi­en für den Umgang damit. Grup­pen die heu­te noch nicht betrof­fen sind, kön­nen mor­gen sel­ber im Fokus ste­hen. Wie eine Kri­mi­na­li­sie­rung vor­be­rei­tet wird, lässt sich recht gut am Bei­spiel der durch Innen­mi­nis­ter De Mai­zie­re kürz­li­ch ver­bo­te­nen Sym­bo­le und Fah­nen kur­di­scher Orga­ni­sa­tio­nen beob­ach­ten. In einer Ant­wort auf eine via Twit­ter gestell­te Fra­ge teil­te das Innen­mi­nis­te­ri­um mit, die betrof­fe­nen Ver­ei­ne und Orga­ni­sa­tio­nen (z.B. die YPG, YPJ in Roja­va oder der Ver­band kur­di­scher Stu­die­ren­der in Deutsch­land, YXK) sei­en völ­lig legal und blie­ben es auch. Unbe­nom­men davon wür­de das Mit­füh­ren ihrer Fah­nen und Sym­bo­le bei kur­di­schen Demons­tra­tio­nen künf­tig jedoch als Unter­stüt­zung der ille­ga­li­sier­ten PKK gewer­tet. Die Teil­nah­me an sol­chen, in der Regel ange­mel­de­ten Demons­tra­tio­nen und das Mit­füh­ren der jetzt ver­bo­te­nen Sym­bo­le kann somit künf­tig eine „Terr­ro­un­ter­stüt­zung” dar­stel­len, unab­hän­gig davon, ob die Orga­ni­sa­ti­on, in der jemand mit­ar­bei­tet, einen lega­len Sta­tus hat. Bei Bedarf wer­den so u.U. Ermitt­lun­gen nach § 129b ermög­licht – mit allen damit ver­bun­de­nen Kon­se­quen­zen, die zwar nicht immer zu einem Ver­fah­ren füh­ren, den Behör­den jedoch auf­grund von Haus­durch­su­chun­gen und Beschlag­nah­men immer umfang­rei­che Erkennt­nis­se zu den betrof­fe­nen Struk­tu­ren ver­schaf­fen. Auch Lati­fe war ledig­li­ch vier Jah­re lang Vor­sit­zen­de eines bis heu­te nicht ver­bo­te­nen Ver­eins, der „Ana­to­li­schen Föde­ra­ti­on”. Ihre Erfah­run­gen kön­nen für ande­re durch­aus hilf­reich sein.

Eine grö­ße­re Auf­merk­sam­keit für juris­ti­sche Ver­schär­fun­gen und neue Geset­ze, selbst wenn sie uns nicht direkt betref­fen und übri­gens auch im Bereich des so genann­ten „Daten­schut­zes”, wür­de es erleich­tern, Ent­wick­lun­gen rich­tig ein­zu­sor­tie­ren. Das wäre die Vor­aus­set­zung dafür, vor­aus­schau­end Gegen­stra­te­gi­en zu ent­wick­len. Oft wird jedoch erst reagiert, wenn es eigent­li­ch zu spät ist. So stellt sich zum Bei­spiel die Fra­ge, ob es sinn­voll ist, sich jetzt sym­bo­li­sch am Ver­bot von kur­di­schen Sym­bo­len abzu­ar­bei­ten und den Behör­den qua­si „frei Haus” spä­ter Ein­setz­ba­res zu lie­fern. Bes­ser wäre es, sich auf wahr­schein­li­ch Kom­men­des ein­zu­stel­len. Zu erwar­ten ist, dass das Sym­bol­ver­bot ein Instru­men­ta­ri­um bereits­stel­len soll, jeder­zeit bis­lang vom Staat tole­rier­te mit Roja­va oder der kur­di­schen Bewe­gung soli­da­ri­sche Struk­tu­ren über eine (infor­mel­le) PKK-Kop­pe­lung zu kri­mi­na­li­sie­ren. Dass der Zeit­punkt einer sol­chen Kri­mi­na­li­sie­rung aus­schließ­li­ch von aktu­el­len außen­po­li­ti­schen Inter­es­sen Deutsch­lands bestimmt ist, ließ sich im Ver­lauf des Ver­fah­rens gegen Lati­fe eben­falls erfah­ren. Für kur­di­sche Akti­vis­tIn­nen in Deutsch­land bedeu­te­te das, eine teil­wei­se ein­gei­gel­te und iso­lier­te Hal­tung auf­zu­ge­ben und offen­si­ver den eige­nen Kampf mit hie­si­gen Kämp­fen zu ver­bin­den. So könn­te es hilf­reich sein, Inha­be­rIn­nen eines deut­schen Pas­ses in die Vor­stän­de der Ver­ei­ne ein­zu­bin­den, bis­her jeden­falls nutzt der deut­sche Staat sei­ne Mög­lich­kei­ten vor allem, wenn es eher unbe­merkt bleibt, weil Infor­ma­tio­nen zu repres­si­ven Vor­gän­gen aus der migran­ti­schen Com­mu­ni­ty sel­ten hin­aus­kom­men. Umge­kehrt setz­te dies jedoch auch ein grö­ße­res Inter­es­se und eine grö­ße­re Soli­da­ri­tät unse­rer­seits bei allen Ver­su­chen der Kri­mi­na­li­sie­rung migran­ti­scher Struk­tu­ren vor­aus; schon aus Eigen­in­ter­es­se, denn repres­si­ve Geset­ze las­sen sich eben auch zu jeder Zeit gegen unse­re Struk­tu­ren rich­ten wenn es dem Staat oppor­tun erscheint.